Gedenkrede für Isabell Gäbler

 

Liebe Familie Gäbler, liebe Trauergäste,


wir haben uns heute hier versammelt, um eure geliebte Ehefrau, Mutter, Großmutter und Freundin Isabell Gäbler zu verabschieden, eine Frau, die nicht nur liebevoll, verlässlich und fleißig war, sondern ihr Leben auch frohgemut und unerschrocken gelebt hat…

Isabell, du wurdest am 09. April 1937 in Radeberg unter dem Namen Isabell Loman und als zweites von drei Kindern deiner Eltern Gerlinde und Herbert Loman geboren. Man sagt, Familie ist da, wo das Leben beginnt und die Liebe niemals endet. Und Liebe ist es doch, wenn man auch schwere Zeiten zusammen übersteht und nicht aufgibt. Du musstest schon in sehr jungen Jahren auf eurer Flucht nach Gohlis eine harte Zeit durchmachen, von der du später immer wieder gesprochen hast. Du und deine Eltern erkrankten an Typhus und ihr wurdet in einem Lager behandelt.

Dein großer Bruder Siegfried kümmerte sich während dieser Zeit um euren kleinen Bruder Bernhard. Alle musstet ihr Hunger leiden…  Für dich, sicher auch für deine Geschwister, war es eine schwere, eine prägende Erfahrung. Doch vielleicht auch eine Erfahrung, die dir schon in so einem zarten Alter die Gelegenheit gab, die Grundfesten für deine spätere innere Stärke zu legen und eine wichtige Lektion zu lernen: Am kostbarsten sind die Menschen, die für einen da sind, wenn man sie braucht. Das Leben malt mit allen Farben – und so hast du natürlich nicht nur dunkle, sondern auch bunte Erinnerungen an deine Kindheit wie deinen geliebten roten Kater Paul oder die zahlreichen Wanderungen in Thüringen durch die grüne Natur mit deiner ganzen Familie…

Als deine Kindheit zu Ende ging, entschiedst du dich in die Fußstapfen deiner Mutter zu treten und dich als Verkäuferin in einem Textilgeschäft zu versuchen. Auch später hast du noch in einem Konsum in Dresden gearbeitet. Die Zeit der Jugend ist jedoch nicht nur eine Zeit, um den richtigen Beruf für sich zu finden. So viel gibt es in der Welt zu entdecken. Vor allem sich selbst – man findet sich in mannigfaltigen unterschiedlichen Situationen und Welten wieder. Irgendwann – hoffentlich – auch in der wunderbaren und wundersamen Welt der Liebe. Die Liebe – die solange nur ein Wort ist, bis ihm jemand eine Bedeutung verleiht…

Für dich hat Rainer diese schöne Aufgabe übernommen. Bei seiner Arbeit als Landfilmvorführer und Ansager, die ihn auch nach Radeberg führte, warst du von ihm wohl viel mehr verzaubert als von dem Film, den du sehen wolltest. Du warst so verliebt, dass du einmal durch den tiefsten Schnee zu dem Vorführraum gelaufen bist und ihn dort überrascht hast, was er sehr romantisch fand. Rainer seinerseits brachte dir und deinen Eltern in diesen kargen Zeiten aus Zeichen seiner Zuneigung Konservendosen mit und stapelte diese auf dem Küchentisch zu einer Pyramide. Ja, aus Liebe macht man schon die verrücktesten Sachen. Manche Leute heiraten sogar. So wir ihr beide am 07. Juli 1956 in Freital.

Man sagt bei einer Hochzeit, die Brautleute würden sich das „Ja-Wort“ geben. Und es ist ein „Ja“, das niemals wieder mehr beinhalten wird als an jenem Tag. Es heißt „Ja, ich möchte immer zu dir gehören“, „Ja, ich werde immer für dich da sein, ganz gleich, was kommt“, „Ja, ich werde dich immer lieben.“ Für dich und deinen Mann blieben diese Versprechen keine bloßen Lippenbekenntnisse. Ihr wart 65 lange Jahre verheiratet – vielleicht mag es Höhen und Tiefen gegeben haben – doch es geht darum zusammenzuhalten und sich jeden Tag neu an seine Versprechen zu erinnern. 65 Jahre Ehe – für die nächste Generation eine zurecht Respekt einflößende Zahl und hoffentlich auch eine große Inspiration…

Eine gute Zusammenarbeit war schon gleich zu Beginn eurer Ehe beim Aufbruch zu eurer Hochzeitsreise gefragt: Romantisch soll diese ja sein – doch für euch ging es vor allem abenteuerlich los: Ihr hattet im Hotel übernachtet und musstet euch um sechs Uhr in der Frühe auf den Weg zum Bahnhof machen. Die Haustür des Hotels war allerdings zugesperrt. So blieb euch nur ein schmales Fenster neben der Tür, durch das ihr mit vereinten Kräften erst eure Koffer und schließlich euch selbst schleusen musstet. So konntet ihr glücklicherweise auch noch euren Zug erreichen, der euch zu einem schönen Wanderurlaub nach Halberstadt im Harz brachte…

Besser kann es eigentlich nur noch werden, wenn man seine Liebe mit den kleinen wunderbaren Wesen – im wahrsten Sinne des Wortes – lebendig werden lässt – die von ihr selbst hervorgebracht werden…den Kindern. Im Februar 1958 erblickte Klaus das Licht der Welt, im Mai 1960 folgte Hans; die Geburt von Elisa beglückte euch im März 1966 und schließlich komplettierte im Juni 1969 Erik eure glückliche und gesegnete Familie. So viele Kinder brauchen selbstverständlich ihren Platz und so wuchsen eure Wohnungen mit der Anzahl der Nachkommen – von einer Zweiraum- zu einer Dreiraum- und schließlich zu einer Vierraumwohnung… Später wurden sie dann nach und nach wieder kleiner.

Eure erste gemeinsame Bleibe fandet ihr 1960 in Hoyerswerda, wo dein Mann als Schlosser arbeitete. Finanziell erging es euch wie vielen jungen Paaren damals – keiner hatte zu dieser Zeit viel Geld; der Start in das selbständige Leben war schwierig. Zwar hattet ihr euch schon Möbel für die gemeinsame Wohnung angeschafft, doch für jede weitere Kleinigkeit, sei es Geschirr oder ein Besen, musste gespart werden. Auch an modernen Komfort war nicht zu denken: Ihr hattet eine Kohlenheizung. Wie viele Zentner Kohle ihr erst in den Keller, dann in die Wohnung und später in Form von Asche wieder hinuntergetragen habt, ist kaum vorstellbar. Genossen habt ihr euer gemeinsames Leben zwar immer, doch wart ihr mit eurem beruflichen Fortkommen auch bald finanziell besser aufgestellt und konntet die schweren Zeiten hinter euch lassen.


Auch auf diesen neuen Wegen habt ihr euch als Ehepaar immer wieder eure Liebe und euer gegenseitiges Vertrauen bewiesen. Rainer war zwar die treibende Kraft für die Umbrüche, doch du hast an ihn und an euch beide geglaubt. Ohne dich wäre es nicht gegangen. Du hast ihm den Rücken freigehalten und dich noch intensiver um die Kinder gekümmert, als er ein Ingenieur-Studium absolvierte. Und er hat dich immer nachgeholt, sobald er die Arbeitsstelle gewechselt hatte, sei es zum Rat des Kreises, wo du als Sachbearbeiterin ausgebildet wurdest oder später nach Schwarze Pumpe. Nach der Wendezeit hast wiederum du eine Ausbildung auf dem Gebiet des Rentenrechts und der Krankenversicherung in Winterberg gemacht und hast anschließend viele Jahre bei der Bundesknappschaft gearbeitet. Deine letzten zwei Arbeitsjahre führten dich tagtäglich nach Cottbus – die Strecke hast du ganz allein mit dem Auto zurückgelegt. Und hattest du mal einen Platten, hast du dich gekümmert und selbstbewusst jemanden angesprochen und ihn gebeten, dir beim Reifenwechseln zu helfen…

Unerschrocken musstest du wohl schon bei der Erziehung deiner Kinder sein. Wie sonst bekommt man drei Söhne groß… Der ein oder andere Unfall, ein Hausschlüssel, der beim Spiel in der Regenrinne des Hausdachs landete oder ein Feuer, dass deine Jungs in eurer Wohnung unter dem Bett legten, sind da nur einige Episoden, die du am Ende doch alle mit Humor betrachten und verzeihen konntest. Du warst ein Grund auf gütiger Mensch – damit du überhaupt ansatzweise wütend wurdest, musste schon allerhand passieren. Deine Erziehung war sanft, deine Kinder schätzten deine Liebenswürdigkeit und vertrauten dir und wenn sie Sorgen oder Kummer hatten, kamen sie als erstes zu dir, um nach deinem Rat zu fragen. Auch für deinen Mann warst du stets eine treue und umsorgende Frau – als er einmal im Krankenhaus war, hast du ihn tagtäglich zweimal dort besucht.

***

Isabell, wenn sich deine Liebsten an dich erinnern, werden sie mit Sicherheit auch an all die vielen einfachen Dinge denken, die dir Freude bereitet haben, wie das Lesen, Tanzen oder die vielen Theaterbesuche. Darunter waren jedoch auch Fertigkeiten, die in deiner Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurden – viel wertvoller als jeder Schatz. Das Häkeln und Stricken, was du so geliebt hast, lerntest du von deiner Mutter und du gabst es an deine Tochter weiter; genauso wie das Kochen und Backen – denn auch deine eigenen Rezepte hast du weitervererbt. Am wichtigsten jedoch sind die Werte, die du vermittelt hast, wie Fleiß, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit und die Gabe des Verzeihens…


All das soll erst Recht die Generationen überdauern und durch deine Kinder übergehen auf deine zahlreichen Enkel Ronny, Jelena, Janine, Albert, Ronja, Claudia, Linda und Danny, sowie an deine Urenkel Emma, Karl, Olaf, Lisbeth und alle, die noch kommen mögen… Obwohl du deine Enkel aufgrund der großen räumlichen Entfernung weniger oft sehen konntest, als du es dir gewünscht hast, hatten sie doch trotzdem einen guten Draht zu dir. Die großen Feste wie Ostern und Weihnachten, natürlich auch Einschulungen und Jugendweihen, habt ihr zusammen gefeiert. Weil euch das aber nicht genug war, seid ihr auch zusammen als Großfamilie in den Kurzurlaub gefahren, wie nach Bayern oder Schweden. Schon als eure eigenen Kinder noch klein waren, habt ihr zusammen viel erlebt und deine Belastbarkeit und Furchtlosigkeit konntest und musstest du auf vielen abenteuerlichen Reisen unter Beweis stellen. In Altenberg hast du es dir nicht nehmen lassen, zusammen mit den Kindern und dem Hund auf einem Schlitten den Berg hinunterzusausen. Nach dem Schreck gab es ein großes Schnittenpaket und heißen Tee…

Auch der Campingurlaub als Familie mit dem nicht ganz unkomplizierten Aufbau des Klappfix-Zeltes war ein Erlebnis für sich. Wenn ihr den Campingplatz denn überhaupt erreichen konntet. In Tschechien kamt ihr auf dem Weg dorthin in ein gewaltiges Unwetter. Als ihr dort eintraft, schwammen bereits die ersten Wohnwagen auf der Wasseroberfläche – da seid ihr lieber umgedreht. Einmal seid ihr mit dem Schiff nach Leningrad gereist – da war der Wind so kühn wie du und tobte mit Windstärke 8. Die Fahrt mit den reparaturbedürftigen Bussen in Leningrad selbst war nicht weniger verwegen.

In Dubai habt ihr euch der sengenden Hitze ausgesetzt. Doch dich konnte keine der Strapazen von einem erneuten Aufbruch abhalten: ihr seid mit dem Bus bis zum Nordkap gereist, ein zweites Mal mit dem Schiff – da sogar bis an den wohl unwirtlichsten noch bewohnten Ort: Spitzbergen. Unterwegs habt ihr die norwegischen Fischer besucht, die Skisprungschanze in Lillehammer, habt am Nordpol Wale beobachtet und euch die überwältigenden Eisberge und Gletscher angesehen. Wiederum andere Fahrten führten euch nach Moskau, in die Schweiz, nach Frankreich und Polen. Doch auch in Deutschland hattest du deine Lieblingsorte wie den Harz oder Binz an der Ostsee. Egal wie entspannt oder strapaziös die Reisen gewesen sein mögen, für dich waren sie allesamt gelungen, denn das wichtigste Stück des Reisegepäcks hattest du immer dabei: Ein fröhliches Herz! Und ein unverzagtes dazu. Das brauchtest du auch, denn irgendwann – man merkte es – reistest du nicht nur in andere Länder, sondern auch in andere Verfassungen deiner Seele. Dein Mann bemerkte deine Abwesenheit und Verwirrtheit; er sorgte sich um dich… Zurecht. Einmal hast du dich fürchterlich auf dem Kreuzfahrtschiff verlaufen, ein anderes Mal bei einem Urlaub in Binz – man fand dich immer wieder. Aber Schritt für Schritt solltest du dir selbst und den anderen entgleiten…


Dein Mann betreute dich lange Jahre zu Hause, auch mit der Unterstützung eines Tagesdienstes. Schlussendlich fandest du in den letzten zwei Jahren deines Lebens einen neuen Ort zum Leben im Pflegeheim „Goldener Stern“, in dem dich dein Mann dreimal in der Woche besuchte. Dein zu Hause blieb selbstverständlich die Wohnung, in der Rainer noch heute lebt. Und in diese holte er dich jedes Wochenende zurück – ganz gleich welche Anstrengung dies für ihn selbst bedeutete. Und obwohl eine Unterhaltung nicht mehr möglich war, habt ihr euch mit den Augen verständigt. Und habt so zum Schluss wohl beide verstanden, dass du mit deinen Kräften am Ende warst… Im Juli plötzlich flackerte das Leben noch einmal unerwartet in dir auf. Auch deine Kinder kamen dich besuchen und sie durften ihre Mutter glücklicherweise noch einmal so wach erleben. Am 08. August 2021 bist du dann für immer eingeschlafen. Dein Mann kam, um dich zu verabschieden. Noch ein letztes Mal hat er dich gestreichelt, dir noch einen letzten Kuss gegeben – es war ein Abschied für immer.

Du hattest ein schönes Leben und nun hattest du deinen Frieden gefunden. Und es ist zu hoffen, dass dein Mann und deine Kinder – die dir so dankbar für deine Liebe sind – auch ihren Frieden finden werden. Nicht nur damit, dass du gegangen bist. Sondern nun vor allem miteinander. Denn man kann die Lücke nicht füllen, die du hinterlassen hast, aber man kann dich ehren, indem man das bewahrt, wofür du gelebt hast: Für den Zusammenhalt in der Familie, für Aufrichtigkeit und Treue und das Verzeihen von Fehlern. Denn du wusstest genau: Wenn ein Mensch etwas falsch gemacht hat, soll man darum nicht all die Dinge vergessen, die er vorher richtig gemacht hat. Wer anderen nicht verzeihen kann, zerstört die Brücke, über die er selbst gehen muss. Jeder Mensch braucht Vergebung. Vergebung und Liebe, so wie du sie deinen Liebsten gegeben hast. Sie werden viele schöne Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit dir haben – es ist ein Mosaik aus abenteuerlichen Fahrten, erfüllten Tagen und unvergesslichen Augenblicken. Du warst ein fröhlicher Mensch, an der Oberfläche so sanft und zurückhaltend wie die Handschmeichler, die du in deinen Urlauben so gerne am Strand gesammelt hast, doch hast du einen kleinen Anstoß bekommen, warst du mutig und lebendig, so wie der Stein, der munter über die Wasseroberfläche springt, wenn man ihn lässt. Ebenso heiter – und nicht betrübt – wird der Abschiedsgruß sein, den dein Mann für dich ausgesucht hat… So soll deinen Liebsten dein Bild in Erinnerung bleiben. Und dabei sollen sie das Wichtigste, was du in deinem Leben gelernt hast, nicht vergessen: Das erste, das der Mensch im Leben vorfindet, das letzte, wonach der die Hand ausstreckt, das kostbarste, was er im Leben besitzt, ist die Familie.


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